Spannender Blick auf die Welt des Radsports
Bei „Fische im Tee“ hat Journalist Jürgen Löhle über die Tour de France, Jan Ullrich und Co. gesprochen.
Geht es um die Berichterstattung über die Tour de France, ist der Name Jürgen Löhle oft nicht weit. Seit 30 Jahren verfolgt der Journalist und Buchautor aus Leinfelden-Echterdingen das Geschehen bei dem Radsport-Großereignis aus nächster Nähe, auch im Juli war er bei einzelnen Etappen, etwa in den Vogesen, vor Ort. Wie seine Tätigkeit aussieht, darüber hat Jürgen Löhle am Montag in der gewohnt lockeren Talkrunde „Fische im Tee“ gesprochen. Vor mehr als 50 Zuhörern im voll besetzten Café Provinz stand er den Moderatoren Achim Seiter und Adi Gieseler sowie den Zuschauern Rede und Antwort.
Etwa wenn es um die diesjährige Tour ging. „Die war ja hochgradig spannend“, blickte der Gast zurück. „Beim letzten Anstieg, 30 Kilometer vor dem Ziel, gab es noch vier Fahrer, die die Tour gewinnen konnten. Nicht zu vergleichen mit den Jahren, in denen der US-Postal-Express um Lance Armstrong vorausgefahren ist.“
Dem Publikum gewährte Jürgen Löhle einen Blick hinter die Kulissen der Tour. So würden den Radsportlern die Hotels teils zugelost, oft liegen die Übernachtungsstätten 100 oder 150 Kilometer vom Etappenziel entfernt. „Generell passiert dort manches, was hier undenkbar wäre. Etwa, dass es auf einer Bergetappe auf
14 Kilometern für die Zuschauer keine Dixi-Klos gibt.“ Zwei Texte schreibt der Journalist für gewöhnlich während der Tour am Tag, einen davon morgens gegen 6 Uhr. 4000 Textanschläge in 30 Minuten sind keine Seltenheit. Danach geht es für ihn zur nächsten Etappe oder direkt zum Zielort. „Über Funk ist man den ganzen Tag über informiert, was passiert und wer vorne ist. Auch ohne TV-Bilder“, schilderte Jürgen Löhle.
In den Fokus zu rücken versucht er das Überraschende, was keiner auf dem Schirm hatte. Es geht ihm um Geschichten statt nur Ergebnisse. In seinem Buch „Ihr Elenden Mörder“ zeigt er allerhand Kurioses auf, was bei der Tour de France schon alles passiert ist. Etwa als bei einem Radsportler in den 70er-Jahren beim Dopingtest ein Schwangerschaftshormon festgestellt wurde. „Ihm wurde erst mal gratuliert“, so Löhle, der damit die Lacher des Publikums auf seiner Seite hatte. Der Buchtitel ist angelehnt an ein Zitat von Radfahrer Oscar Lapiz aus dem Jahr 1910, als die Tour erstmals über die Pyrenäen führte.
Als „traurig“ empfindet Jürgen Löhle die Entwicklung von Jan Ullrich, Toursieger von 1997, mit dem er einst ein Buch geschrieben hat und der seit seinem Karriereende nicht nur wegen seiner Dopingüberführung negativ in die Schlagzeilen geraten ist. „Ich habe ihn als fremdgesteuerten Menschen kennengelernt, der von der Telekom total auf die Tour fixiert wurde. Obwohl er viel lieber die Giro d’Italia mochte. Am Ende wurde er gnadenlos fallengelassen.“
Auch heute glaubt Löhle nicht, dass die Top Fünf ohne Doping erreichbar sind. „Dahinter hat es sich aber schon verändert. Lance Armstrong hat ja nach Zielankünften erschöpfungsfrei Interviews gegeben. Das ist jetzt anders. Ab gewissen Wattwerten in Relation zum Körpergewicht kommen aber doch Zweifel auf.“ Als Rudi Altig und Udo Bölts Doping gestanden hatten, überlegte auch Jürgen Löhle selbst aufzuhören. „Für mich hatten die beiden für gewisse Werte gestanden“, so der Journalist, der neben dem Radsport auch von Olympischen Spielen berichtet. Nach Tokio 2020 möchte er in den Ruhestand gehen und die Tour auch selbst abfahren. Die Radfreunde im Publikum konnte er aber beruhigen: Über die legendäre Figur Brägel im Radmagazin „Tour“, mit der er seit 25 Jahren alle Marotten des Radsports aufgreift, möchte er weiter schreiben – was ihm vom Marbacher Publikum einen Sonderapplaus einbrachte.
Marbacher Zeitung | Andreas Hennings



























